Beschluss vom 07.07.2025 -
BVerwG 2 WDB 12.24ECLI:DE:BVerwG:2025:070725B2WDB12.24.0

Erfolglose Beschwerde gegen Einstellung eines durch eine unzuständige Behörde eingeleiteten gerichtlichen Disziplinarverfahrens

Leitsätze:

1. Die Einleitung des gerichtlichen Disziplinarverfahrens durch die unzuständige Einleitungsbehörde begründet ein Verfahrenshindernis.

2. Die erneute Entlassung einer bereits rechtswirksam ausgeschiedenen Soldatin geht ins Leere und kann die Zuständigkeit der Einleitungsbehörde nicht verändern.

  • Rechtsquellen
    SG § 54 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1, § 55 Abs. 4 Satz 2, Abs. 5, Abs. 6 Satz 3
    WDO 2002 § 94 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 3, § 108 Abs. 3 Satz 1
    WDO 2025 § 97 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und 3, Abs. 3 Satz 1, § 110 Abs. 3 Satz 1, § 143 Abs. 2 Satz 2, § 144 Abs. 3 Satz 1

  • TDG Süd 6. Kammer - 21.08.2024 - AZ: S 6 VL 11/24

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 07.07.2025 - 2 WDB 12.24 - [ECLI:DE:BVerwG:2025:070725B2WDB12.24.0]

Beschluss

BVerwG 2 WDB 12.24

  • TDG Süd 6. Kammer - 21.08.2024 - AZ: S 6 VL 11/24

In dem gerichtlichen Disziplinarverfahren hat der 2. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Häußler, den Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Burmeister und die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Henke am 7. Juli 2025 beschlossen:

  1. Die Beschwerde der Wehrdisziplinaranwaltschaft gegen den Beschluss des Vorsitzenden der 6. Kammer des Truppendienstgerichts Süd vom 21. August 2024 wird zurückgewiesen.
  2. Der Bund trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der der früheren Soldatin darin erwachsenen notwendigen Auslagen.

Gründe

I

1 Die Beschwerde richtet sich gegen die Einstellung eines gerichtlichen Disziplinarverfahrens.

2 1. Die frühere Soldatin trat am 1. April 2010 in die Bundeswehr ein und wurde am 14. April 2010 Zeitsoldatin. 2012 wurde sie für die Laufbahn der Unteroffiziere des Sanitätsdienstes und 2015 für die Laufbahn der Bootsleute des Sanitätsdienstes zugelassen und zum Obermaat Bootsmannanwärter ernannt. Aufgrund ihrer auf 18 Jahre lautenden Weiterverpflichtungserklärung vom 3. Juni 2015 wurde ihre Dienstzeit zuletzt am 2. März 2021 vom Bundesamt für das Personalmanagement der Bundeswehr (BAPersBW) auf elf Jahre und einen Monat festgesetzt und das Dienstzeitende entsprechend auf den Ablauf des 30. April 2021 bestimmt. Seit 2016 gehörte die frühere Soldatin dem A an. Nach einer von dem A ausgestellten Wehrdienstbescheinigung leistete sie bis zum Ablauf des 30. April 2021 Wehrdienst.

3 2. Mit Bescheid des BAPersBW vom 30. März 2021, wurde die frühere Soldatin gemäß § 55 Abs. 4 Satz 2 SG mit Ablauf des 30. April 2021 aus dem Dienstverhältnis eines Soldaten auf Zeit entlassen. Der Bescheid wurde ihr am 30. März 2021 ausgehändigt. Auf ihre Beschwerde änderte das BAPersBW mit bestandskräftigem Bescheid vom 20. Dezember 2021 die Entlassungsverfügung dahin, dass die frühere Soldatin mit Ablauf des 31. Mai 2021 gemäß § 55 Abs. 4 Satz 2 SG aus dem Dienstverhältnis eines Soldaten auf Zeit entlassen wurde. Gemäß § 55 Abs. 6 Satz 2 SG (gemeint: Satz 3) müsse dem betreffenden Soldaten die Entlassungsverfügung wenigstens einen Monat vor dem Entlassungstag zugestellt werden. Deshalb werde der Entlassungstag auf den 31. Mai 2021 abgeändert. Damit sei die Zustellfrist zweifelsfrei gewahrt.

4 3. Am 4. Dezember 2020 wurden disziplinare Vorermittlungen gegen die frühere Soldatin aufgenommen. Der Inspekteur der Marine leitete mit einer ihr am 13. Mai 2022 zugestellten Verfügung ein gerichtliches Disziplinarverfahren gegen sie ein. Am 25. Juli 2024 wurde sie beim Truppendienstgericht eines Dienstvergehens angeschuldigt.

5 4. Der Vorsitzende der Truppendienstkammer hat das gerichtliche Disziplinarverfahren mit Beschluss vom 21. August 2024 gemäß § 108 Abs. 3 Satz 1 WDO a. F. eingestellt. Es liege ein nicht behebbares Verfahrenshindernis vor, weil der Inspekteur der Marine für die Einleitung nicht zuständig gewesen sei. Eine Zuständigkeit ergebe sich nicht aus § 94 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 (gemeint: Nr. 2) WDO a. F. i. V. m. Abschnitt 1.1 Buchst. b (4) der Zentralen Dienstvorschrift ZDv A-2160/6, weil die frühere Soldatin dem Inspekteur der Marine nur bis zur Beendigung ihres Dienstverhältnisses am 30. April 2021 unterstanden habe. Eine Zuständigkeit folge auch nicht aus dem letzten Absatz in Abschnitt 1.1 Buchst. g der ZDv A-2160/6. Diese Regelung sei aus im Einzelnen ausgeführten Gründen so auszulegen, dass sie bei Entlassungen nach § 55 Abs. 4 SG nicht gelte. Damit sei es bei der (Regel-)Zuständigkeit des Beauftragten für die Angelegenheiten des militärischen Personals der Leitung des BAPersBW für frühere Soldaten nach § 94 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 WDO a. F. i. V. m. Abschnitt 1.1 Buchst. e (1) der ZDv A-2160/6 verblieben.

6 5. Die Wehrdisziplinaranwaltschaft macht mit ihrer Beschwerde geltend, der letzte Absatz von Abschnitt 1.1 Buchst. g der ZDv A-2160/6 sei aus im Einzelnen aufgezeigten Gründen so auszulegen, dass er auch bei Entlassungen nach § 55 Abs. 4 Satz 2 SG gelte. Da die rechtswidrige Verfügung der Entlassung zum 30. April 2021 bis zur Beschwerdeentscheidung Wirkung entfaltet habe, habe das Dienstverhältnis nicht am 30. April 2021 mit Ablauf der Zeit geendet, für welche die frühere Soldatin in das Dienstverhältnis auf Zeit berufen worden sei.

7 6. Die Bundeswehrdisziplinaranwaltschaft hat sich der Argumentation der Wehrdisziplinaranwaltschaft angeschlossen.

8 7. Die frühere Soldatin hatte Gelegenheit zur Stellungnahme.

9 8. Für Einzelheiten wird auf den Inhalt der Akten Bezug genommen.

II

10 Die zulässige Beschwerde ist unbegründet. Das Truppendienstgericht hat zu Recht angenommen, dass ein Verfahrenshindernis vorliegt, das zur Einstellung des gerichtlichen Disziplinarverfahrens führen muss; dieses Verfahrenshindernis besteht im maßgeblichen Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung fort.

11 Unter den Begriff eines Verfahrenshindernisses im Sinne des nunmehr geltenden § 110 Abs. 3 Satz 1 WDO in der Fassung des Dritten Gesetzes zur Neuordnung des Wehrdisziplinarrechts und zur Änderung weiterer soldatenrechtlicher Vorschriften vom 17. Dezember 2024 (BGBl. I Nr. 424), der dem bei Erlass des angefochtenen Beschlusses geltenden § 108 Abs. 3 Satz 1 WDO a. F. entspricht, fallen alle Umstände, die der Fortführung des gerichtlichen Disziplinarverfahrens von Rechts wegen entgegenstehen, also diese verhindern (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 16. Juli 2014 - 2 WDB 5.13 - BVerwGE 150, 162 Rn. 9 m. w. N. und vom 10. Juli 2018 - 2 WDB 2.18 - BVerwGE 162, 325 Rn. 5). Dazu zählen schwere Mängel des Verfahrens, die nicht auf andere Weise geheilt werden können (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 22. Juli 2004 - 2 WDB 4.03 - NVwZ-RR 2005, 47 <47>, vom 4. September 2013 - 2 WDB 4.12 - juris Rn. 14, vom 30. September 2013 - 2 WDB 5.12 - juris Rn. 11 und vom 13. April 2021 - 2 WDB 1.21 - BVerwGE 172, 154 Rn. 9). Dieser Fall liegt hier vor. Denn das gerichtliche Disziplinarverfahren wurde vorliegend durch eine unzuständige Behörde eingeleitet. Dies begründet einen schweren Verfahrensmangel, der nicht auf andere Weise geheilt werden kann (vgl. BVerwG, Beschluss vom 2. Mai 1984 - 2 WDB 6.84 - NZWehrr 1984, 210 <210>; Dau/Schütz, Wehrdisziplinarordnung, 8. Aufl. 2022, § 94 Rn. 13).

12 Nach § 94 Abs. 3 Satz 1 WDO a. F. (jetzt § 97 Abs. 3 Satz 1 WDO) ist die Einleitungsbehörde zuständig, welcher der betreffende Soldat im Zeitpunkt der Einleitung untersteht.

13 Zu diesem Zeitpunkt unterstand die frühere Soldatin nicht mehr dem Inspekteur der Marine, weil ihr Dienstverhältnis längst geendet hatte. Dementsprechend war er auch nicht mehr gemäß § 94 Abs. 1 Nr. 2 WDO a. F. (jetzt § 97 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 WDO) i. V. m. Abschnitt 1.1 Buchst. b (4) der Zentralen Dienstvorschrift (ZDv) A-2160/6 ("Wehrdisziplinarordnung und Wehrbeschwerdeordnung") in der Version 4.1 für die Einleitung des gerichtlichen Disziplinarverfahrens zuständig.

14 Für frühere Soldaten kann nach § 94 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 WDO a. F. (jetzt § 97 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 WDO) der Bundesminister der Verteidigung die zuständige Einleitungsbehörde bestimmen. Nach Abschnitt 1.1 Buchst. e (1) der ZDv A-2160/6 ist grundsätzlich der Beauftragte für die Angelegenheiten des militärischen Personals der Leitung des BAPersBW als Einleitungsbehörde für Reservisten bestimmt.

15 Der Inspekteur der Marine blieb hier nicht ausnahmsweise als frühere Einleitungsbehörde zuständig. Zwar verbleibt nach dem letzten Absatz von Abschnitt 1.1 Buchst. g der ZDv A-2160/6 die Zuständigkeit bei der bis dahin zuständigen Einleitungsbehörde, wenn eine Soldatin oder ein Soldat, gegen die oder den disziplinare Vorermittlungen geführt werden, ihren oder seinen Status als Soldatin oder Soldat durch behördliche oder gerichtliche Entscheidung verliert (z. B. aufgrund einer Entlassung nach § 55 Absatz 5 des Soldatengesetzes).

16 Diese Voraussetzungen lagen im Zeitpunkt der Einleitung des gerichtlichen Disziplinarverfahrens am 13. Mai 2022 schon deswegen nicht vor, weil die frühere Soldatin ihren Status als Soldatin während der gegen sie geführten disziplinaren Vorermittlungen nicht durch eine irreguläre Intervention in Form einer behördlichen oder gerichtlichen Entscheidung verloren hatte, sondern durch Ablauf ihrer festgesetzten Dienstzeit. Daher kommt es auf die zwischen den Beteiligten streitige Frage, ob Entlassungen nach § 55 Abs. 4 Satz 2 SG behördliche Entscheidungen im Sinne der genannten Regelung sind, nicht an.

17 Im Einzelnen wurde die Dienstzeit der früheren Soldatin zuletzt am 2. März 2021 auf elf Jahre und einen Monat festgesetzt und das Dienstzeitende entsprechend auf den Ablauf des 30. April 2021 bestimmt. Die Dienstzeit wurde nach dem 2. März 2021 nicht verlängert. So heißt es im Entlassungsbescheid vom 30. März 2021 und im Beschwerdebescheid vom 20. Dezember 2021 jeweils, dass die Dienstzeit regulär mit Ablauf des 30. April 2021 geendet hätte und weitere Festsetzungen ihrer Dienstzeit bis auf die volle Verpflichtungszeit (nur) "beabsichtigt" gewesen seien. Zu solchen weiteren Festsetzungen ist es indes nicht gekommen. Entsprechend lautet die Wehrdienstbescheinigung des A, dass die frühere Soldatin bis zum Ablauf des 30. April 2021 Wehrdienst leistete. Mit Ablauf der festgesetzten Dienstzeit endete der aktive Dienst der Soldatin nach § 54 Abs. 1 SG kraft Gesetzes. Bis zum 30. April 2021 konnte zwar die Wehrdienstzeitverlängerung und die Entlassung auf einen anderen Grund, die fehlende Aufstiegseignung i. S. d. § 55 Abs. 4 Satz 2 SG, gestützt werden. Nach dem gesetzlichen Ende der Wehrdienstzeit ist eine Verlängerung i. S. d. § 40 Abs. 2 SG jedoch nicht mehr möglich (vgl. BVerwG, Urteil vom 9. Juni 1971 - 8 C 173.67 - Buchholz 238.4 § 40 Nr. 2, VGH München, Beschluss vom 27. Juni 2007 - 15 ZB 06.3280 - juris Rn. 6, OVG Münster, Beschluss vom 14. Juni 2011 ‌- 1 A 871/09 - juris Rn. 9).

18 Daher konnte der rund 6 Monate nach dem gesetzlichen Ende der Wehrdienstzeit erlassene Beschwerdebescheid entgegen der Auffassung der Wehrdisziplinaranwaltschaft keine Verlängerung der Dienstzeit bis Ende Mai 2021 mehr bewirken.

19 Dies liegt schon deshalb fern, weil bei Erlass des Beschwerdebescheids am 20. Dezember 2021 feststand, dass die frühere Soldatin nach dem 30. April 2021 keinen Dienst mehr geleistet hat. Es ist auch nicht ersichtlich, dass sie noch Dienstbezüge erhalten hätte. Am regulären Dienstzeitende ändert auch die Bestandskraft des Beschwerdebescheids vom 20. Dezember 2021 nichts, wonach die frühere Soldatin erst mit Ablauf des 31. Mai 2021 ("auf dem Papier") aus dem Dienstverhältnis eines Soldaten auf Zeit entlassen wurde. Da ihr Dienstverhältnis bereits mit Erreichen ihres regulären Dienstzeitendes gemäß § 54 Abs. 1 SG zum Ablauf des 30. April 2021 geendet hatte, ging die erneute Entlassung der schon entlassenen Soldatin "ins Leere" (vgl. BVerwG, Urteil vom 2. Juli 1982 - 8 C 101.81 - BVerwGE 66, 75 <78> für das Zivildienstverhältnis; ähnlich BVerwG, Urteil vom 9. Juni 1981 - 2 C 48.78 - juris Rn. 19 zur zweiten Entlassung eines Referendars). Da am 31. Mai 2021 das Dienstverhältnis als Soldatin auf Zeit nicht mehr bestand, konnte es nicht mehr gemäß § 54 Abs. 2 Nr. 1 SG durch Entlassung beendet werden.

20 Die Kostenentscheidung beruht auf § 143 Abs. 2 Satz 2, § 144 Abs. 3 Satz 1 WDO.